Wieder Versailles

18.5.2012

Wieder Versailles !

Lieber Heinz[1]!

Uff, schon wieder Versailles, nach mehr als vierzig Jahren. Die Fahrtzeit, um hierher zu kommen, hat sich halbiert, dank der neuen Eisenbahnzüge und –Trassen. Das Schloß sehen (der Eingang war schon verschlossen),  wenigstens der Anblick von der Place d’Armes hinauf zu der Cour d’Honneur, dem Ehrenhof, ist mir vergönnt. Kaum gibt es Sonne, die die neuen Vergoldungen zum Leuchten und Funkeln bringen könnte; einige Touristen fotografieren sich selbst, das gehört dazu.

Im Park gibt es immer noch den Blick über die offene Landschaft. Wie bei meinem ersten Besuch frage ich mich, „Wohin führt der Blick, über das Ende des großen Bassins hinaus?“. Setzt sich die Landschaft fort, irgendwohin über den Horizont, was hat sich der König dabei gedacht, oder die Königin, oder die Höflinge, wenn sie am Abend umherspazierten?

Ich frage mich aber auch, wie lange die „Marktweiber“ aus Paris gebraucht haben, um hierher zu kommen,  um Hilfe und Nahrung und Brot zu fordern (und Marie-Antoinette gesagt haben soll, sie sollten anstatt Brot doch Kuchen essen), wie lange braucht man für den Weg zu Fuß, mit Hunger im Bauch? Mit der Wut und dem Zorn der Armut?

Das Ausmaß der Wut, die dieses Schloß erzeugt haben mag, kann man an ihm selbst und seinen Dimensionen ablesen: da gibt es einen eigenen Gebäudeflügel für Madame de Pompadour, der Favoritin des Königs, der „Maîtresse en titre“, nur für sie.

Die Seitenflügel gleichen mit den hohen Untergeschossen die Höhen und Tiefen des Geländes aus. Das ist so gewollt, ist Teil der Zurschaustellung der Macht, Macht auch über das umgebende Land, über Hügel und Tal.

All das ist inszeniert. Der Weg steigt an  von dem Platz zum Marmorhof, denn da oben thront der Souverän. Man spürt die großen Pflastersteine unter den Füßen, man wird aufatmen, wenn man endlich den glatten Boden des Schlosses betreten kann. Der Gegensatz von Natur und Zivilisation, von Unten und Oben durch die Füße fühlbar.

Es ist nicht verwunderlich, daß auf das Extrem des französischen Absolutismus das Extrem der französischen Revolution folgte: die wunderbaren Menschenrechte wurden entdeckt und garantiert, doch dann umgekehrt; das Ideal der Freiheit in sein Gegenteil gewendet, um diese Freiheit zu „verteidigen“, sie vor  ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden zu „schützen“.

Die Stadt aber, damals, bewohnt von den Höflingen, den Bürgern, den Handwerkern, die alle von dem Hof lebten. Hier gibt es die langen Boulevards mit den immer noch akkurat beschnittenen Bäumen, den zwei-, höchstens drei-geschossigen Häusern. Hier wohnen die Bürger immer noch, hier ist die Ruhe, so nahe bei Paris, so weit von den Aufregungen, den Bewegungen, den Beinahe-Revolutionen unserer Zeit.

Werde ich hierher zurückkommen, zurückkommen wollen?

Wir in Saarbrücken haben eine Kopie dieses Schlosses, doch aus Geldmangel ist unser Schloß auf menschliche Maße reduziert. Man kann von der einen Ecke aus rufen und wird auch an dem anderen Ende gehört. Sicherlich war es für den Fürsten beschämend, so klein bauen zu müssen; mir ist es noch ein Trost.

E.


[1] Dr. Heinz Mathey. Frankreich-Fan, Romanist und Geograph, langjähriger Direktor der Volkshochschule Dillingen (Saar). Dissertierte über Tourrettes-sur-Loup (in der Nähe von St.Paul de Vence) und die Auswirkungen des Fremdenverkehrs im Hinterland der Côte d’Azur. Chevalier de l’Ordre des Palmes Académiques. Im Winter trägt er oft ein Béret.

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