Am Athos

23.8.2007
Tripiti, Griechenland

Lieber Johannes ,

“Tausend Jahre wie ein Tag”.

Wenn ich den Kopf wende und die Augen zusammenkneife, dann erscheint über dem alten Turm von Ouranoupolis der Berg Athos. Eigentlich ist es ja die Barriere, die das Diesseits von den Klöstern abzutrennen scheint. Abgeschnitten, abgeschieden. In Wahrheit liegt der Berg am Ende der Halbinsel, aber von hier aus sehe ich nur diese Barriere.

Ich bin im Diesseits, sehe die Schiffe von hier zur Insel Ammouliani fahren oder anderswohin. Die Stille in diesem Bild ist auch die Stille dort, das Schimmern der Wellen, der zunehmende Mond.

In dem alten Turm gibt es eine Ausstellung mit den Funden aus dem Turm und aus der Umgebung. Der Turm ist restauriert worden. Dort findet sich auch die Geschichte des Ehepaares Loch (1), das seit den zwanziger Jahren darin gewohnt hat. Sie gehörten zu jener Gruppe weltreisender Engländer und Australier, die ihre Erinnerungen hinterlassen haben für uns.

Während das Paar D.H. Lawrence / Frieda v. Richthofen sich selbst genügte, haben die Lochs den Armen hier, meist Flüchtlinge aus Kleinasien, geholfen. Sie gehörten zu den Intellektuellen der Zeit, denn sie haben Bücher, Reisebeschreibungen und Gedichtbände veröffentlicht.

In dem Turm gibt es einen Raum, der ihr Schreibzimmer gewesen ist, mit einigen ihrer Bücher im Regal, doch sie waren hinter Glas und nicht zu öffnen, um darin zu blättern.

Johannes Paleologos, einer der letzten Kaiser von Byzanz, wurde in diesem Turm beherbergt, auf einer Reise. Der Turm und die Umgebung gehörte zum Kloster Vatopedi, fast tausend Jahre alt: die wirtschaftliche Grundlage für das Gebet.

Im Gleichmaß der Tage wird hier keine Zeit gemessen. Die Seele ist in die Hand genommen, im Gleichgewicht nach jeder Seite hin.

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Die Sprachen, die ich im Hotel höre, spiegeln die Nationalitäten der Klöster wider: neben Griechisch Bulgarisch, Serbisch, Russisch.

Wir sind an der Nahtstelle so vieler Religionen und Konfessionen; die Ausstrahlung in das nahe Bulgarien und Serbien wird vorstellbar.

Für einen, der im Westen Europas aufgewachsen ist und erzogen wurde, waren dies unbekannte Ereignisse. Wer hört denn schon in der Schule von jenem Palaeologos und erinnert sich an ihn und seine Dynastie? Ein wenig Byzanz und Konstantinopel – oder:  “eine Ikone ist eine Pop-Ikone und kein Heiligenbild”… Der Berg Athos war ein geheimnisvoller Ort, vielleicht zu Zeiten der Beatniks, um dorthin zu reisen und die Stille kennenzulernen und in der Stille sich selbst.

Ein Löschflugzeug fliegt vorüber und schwenkt nach Südwesten. Auf dem Berg Athos gibt es keine Brandstiftung (2).

E.

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(1) Sydney und Joyce Loch.

(2) Am folgenden Tag fanden mehr als 60 Menschen den Tod in den Waldbränden im restlichen Griechenland.

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Johannes Ritzke.
Computerlinguist, Liebhaber der Neogotik, russisch-orthodoxen Glaubens.

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